Was für eine Ernüchterung! Welch ein jäher Absturz aus meinem himmelstürmenden, alles überennenden Zustand von gestern in diese kahle, kalte Verschlossenheit. Vier weiße Wände, eine Metallpritsche, ein schmaler Spind, Tisch,Stuhl, ein blindes Fenster, das den Schatten der Gitter und sonst nichts sehen läßt.
Diese winzige Kammer steht mir nur noch zu, in einer sturen Maschine, die mich bewegt und mir befielt, ohne nach mir zu fragen. Keine Wut, keine Empörung, keine Verzweiflung wird daran etwas ändern. Die ersten Tage in der Zelle fasse ich keinen klaren Gedanken, laufe nur hin und her, von der Tür zur Wand und wieder zurück, den ganzen Tag. So wie die im Zoo eingesperrten Tiere unentwegt den Zaun ihres Käfigs ablaufen, weil die Natur sie zum Laufen geboren hat.
Ich stemme mich mit aller Macht gegen dieses Riesenwort: Aus! Alles aus! Es ist drauf und dran, mich von Kopf bis Fuß zu besetzen und die Zelle bis in den Winkel mit deprimierendem Druck aufzuladen. Ich kämpfe gegen dieses schmerzlicvhe Gefühl, alles falsch gemacht und schon verloren zu haben, noch bevor alles angefangen hat. Und ich drücke dieses niederträchtig hochkommende „Ist doch alles sinnlos“ nieder. So verharre ich mehrere Tage in Ohnmacht. Dann fange ich mich wieder, werde ruhiger und befasse mich mit den praktischen Notwendigkeiten in meiner neuen, durch und durch uglücklichen Lage. Der Schock ist überwunden, ich beginne, das Gefängnis als den Ort zu betrachten, von dem aus ich nun auf andere Weise zu kämpfen habe.
Nach Überwindung der ersten Phase der Mutlosigkeit und Entäuschung kehren meine Lust und alte Energie zurück, um nun den Knastkampf von innen aufzunehmen. Ich begreife das Gefängnis als Schule der Revolution. Ich bin nicht allein, in der ganzen Bundesrepublik sitzen politische Gefangene. In der ganzen Welt habe ich Geschwister!
1972 hat es noch eine starke, sehr aktive Gefangenenbewegung gegeben. Sie schaffte Solidarität, Zusammengehörigkeit und Orientierungshilfe. In vielen Städten gab es Rote und schwarze Hilfen, das „Komitee gegen Isolationsfolter“ hatte sich gegründet, es gab Häftlingskollektive, Gefangenenräte, und jeder politisch interessierte Häftling wurde betreut und unterstützt. Die Gefangenenbewegung stellte uns engarierte Rechtsanwälte an die Seite, schickte uns Zeitungen, Bücher, Geld, sorgte für Besuche, Briefkontakte, informierte über die politischen Prozesse und organisierte die öffentliche Diskussion über die Verhältnisse in den Gefängnissen.
Sehr bald bekomme ich Besuch vom Verfassungsschutz. Der Rühe vom Berliner Staatsschutz ist reihum zu uns ins Gefängnis gekommen, um „Gespräche“ zu führen. Ich denke, daß dies damals für den Verfassungsschutz eine Routinearbeit war: alle Gefangenen, die in links-militanten Aktivitäten verwickelt waren oder auch nur Berührung damit hatten, aufzusuchen, abzutasten und möglichst anzuwerben. Oft waren sie sehr erfolgreich, und ich bin nicht sicher, ob dies ein Zufall war oder Ausdruck einer erschreckend hohen Dunkelziffer von IM in der linken Bewegung. Jedenfalls standen fortan Harald Sommerfeld und Ulrich Schmücker im Dienst des Verfassungsschutzes. Ulrich Schmücker wurde zwei Jahre später als Agent des Verfassungsschutes erschossen. Er starb offensichtlich an einer Kugel, mit der die sogenannten Verfassungsschützer Billard gespielt hatten und die ihnen dann vom Tisch gerollt war.
(…)
Verena war bereits verhaftet und im Lehrter Gefängnis – eine Folge des Verrats von Sommerfeld und Schmücker. (…) Ich komme nicht mit ihnen zusammen, aber es gibt in diesen alten Knästen so manche Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren.
(…)
Nach fünfzehn Monaten Gefängnis in Koblenz und Berlin spielte mir das Glück eine Chance zur Wiedererlangung meiner Freiheit zu. (…) Ihre Solidarität ist selbstverständlich und furchtlos.
schule der revolution
die plicht eines jeden gefangenen ist die flucht
+ + + dokumentation + + +
Was für eine Ernüchterung! Welch ein jäher Absturz aus meinem himmelstürmenden, alles überennenden Zustand von gestern in diese kahle, kalte Verschlossenheit. Vier weiße Wände, eine Metallpritsche, ein schmaler Spind, Tisch,Stuhl, ein blindes Fenster, das den Schatten der Gitter und sonst nichts sehen läßt.
Diese winzige Kammer steht mir nur noch zu, in einer sturen Maschine, die mich bewegt und mir befielt, ohne nach mir zu fragen. Keine Wut, keine Empörung, keine Verzweiflung wird daran etwas ändern. Die ersten Tage in der Zelle fasse ich keinen klaren Gedanken, laufe nur hin und her, von der Tür zur Wand und wieder zurück, den ganzen Tag. So wie die im Zoo eingesperrten Tiere unentwegt den Zaun ihres Käfigs ablaufen, weil die Natur sie zum Laufen geboren hat.
Ich stemme mich mit aller Macht gegen dieses Riesenwort: Aus! Alles aus! Es ist drauf und dran, mich von Kopf bis Fuß zu besetzen und die Zelle bis in den Winkel mit deprimierendem Druck aufzuladen. Ich kämpfe gegen dieses schmerzlicvhe Gefühl, alles falsch gemacht und schon verloren zu haben, noch bevor alles angefangen hat. Und ich drücke dieses niederträchtig hochkommende „Ist doch alles sinnlos“ nieder. So verharre ich mehrere Tage in Ohnmacht. Dann fange ich mich wieder, werde ruhiger und befasse mich mit den praktischen Notwendigkeiten in meiner neuen, durch und durch uglücklichen Lage. Der Schock ist überwunden, ich beginne, das Gefängnis als den Ort zu betrachten, von dem aus ich nun auf andere Weise zu kämpfen habe.
Nach Überwindung der ersten Phase der Mutlosigkeit und Entäuschung kehren meine Lust und alte Energie zurück, um nun den Knastkampf von innen aufzunehmen. Ich begreife das Gefängnis als Schule der Revolution. Ich bin nicht allein, in der ganzen Bundesrepublik sitzen politische Gefangene. In der ganzen Welt habe ich Geschwister!
1972 hat es noch eine starke, sehr aktive Gefangenenbewegung gegeben. Sie schaffte Solidarität, Zusammengehörigkeit und Orientierungshilfe. In vielen Städten gab es Rote und schwarze Hilfen, das „Komitee gegen Isolationsfolter“ hatte sich gegründet, es gab Häftlingskollektive, Gefangenenräte, und jeder politisch interessierte Häftling wurde betreut und unterstützt. Die Gefangenenbewegung stellte uns engarierte Rechtsanwälte an die Seite, schickte uns Zeitungen, Bücher, Geld, sorgte für Besuche, Briefkontakte, informierte über die politischen Prozesse und organisierte die öffentliche Diskussion über die Verhältnisse in den Gefängnissen.
Sehr bald bekomme ich Besuch vom Verfassungsschutz. Der Rühe vom Berliner Staatsschutz ist reihum zu uns ins Gefängnis gekommen, um „Gespräche“ zu führen. Ich denke, daß dies damals für den Verfassungsschutz eine Routinearbeit war: alle Gefangenen, die in links-militanten Aktivitäten verwickelt waren oder auch nur Berührung damit hatten, aufzusuchen, abzutasten und möglichst anzuwerben. Oft waren sie sehr erfolgreich, und ich bin nicht sicher, ob dies ein Zufall war oder Ausdruck einer erschreckend hohen Dunkelziffer von IM in der linken Bewegung. Jedenfalls standen fortan Harald Sommerfeld und Ulrich Schmücker im Dienst des Verfassungsschutzes. Ulrich Schmücker wurde zwei Jahre später als Agent des Verfassungsschutes erschossen. Er starb offensichtlich an einer Kugel, mit der die sogenannten Verfassungsschützer Billard gespielt hatten und die ihnen dann vom Tisch gerollt war.
(…)
Verena war bereits verhaftet und im Lehrter Gefängnis – eine Folge des Verrats von Sommerfeld und Schmücker. (…) Ich komme nicht mit ihnen zusammen, aber es gibt in diesen alten Knästen so manche Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren.
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Nach fünfzehn Monaten Gefängnis in Koblenz und Berlin spielte mir das Glück eine Chance zur Wiedererlangung meiner Freiheit zu. (…) Ihre Solidarität ist selbstverständlich und furchtlos.
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veröffentlicht in:
Nie war ich furchtloser
Autobiographie
Inge Viett
Edition Nautilus, Hamburg 1996
Verlag Lutz Schulenburg
2.Auflage 1997
S. 92-93,97-98,102-107
www.edition-nautilus.de