Wenn sich das verdammte Karussell so schnell dreht, daß Tragödie & Farce nicht mehr auseinanderzuhalten sind; wenn auf der Stelle-treten als Bewegung mißverstanden wird; wenn das revolutionäre Subjekt die Therapie nötiger als die Theorie zu haben scheint – wenn einem/einer ständig soviel Blödes widerfährt, dann ist das schon mal einen Blick auf Vergangenes wert.
Vergangenes ? Wir befinden uns im letzten Drittel der verstopften 60er Jahre. Höhere Töchter und Söhne zupfen an den Säumen der Talare. Der braune Pesthauch, der dabei frei wird, treibt einigen die Tränen in die Augen und andere in die kommunistischen Kaderparteien, die 1970/71 gleich im halben Dutzend gegründet werden. Unbemerkt von denen, die 20 Jahre später die 68er Bewegung in ihren FU-Seminaren in eine „Studenten-Revolte“ umlügen werden, geht ein Gespenst in Europa um: das Gespenst einer Nutzpflanze mit Namen Cannabis. Ihre Wirkung ist verheerend: die Haare wachsen wie verrückt, die Klamotten werden immer bunter, eine Musik wird gemacht, die die Verwachsenen zu Paaren treibt. Doch das ist erst der Anfang. Proletarische Jugendliche verschlingen Reich, Hesse, Bakunin, Porno-Comics und die Erinnerungen großer russischer Terroristinnen. Weltweit werden die Befreiung Vietnams und der Liebe eingeklagt. Es gibt (noch) keine alternativen Nischen, in die man/frau sich flüchten kann. Jede Lebensäußerung dieser neuen Jugendkultur ist eine Kriegserklärung an den Staat, den Klerus, die Parteien – kurzum: DAS SYSTEM.
Der Ganze Mensch vibriert im Rhythmus der revolutionären
Frequenz: turn on, tune in, drop out.
Es gibt nur e i n Zurück,
das angebotene Stück Kuchen zurück in
die Fresse der Herrschenden:
wir wollen die ganze verdammte Bäckerei.
Schnitt.
Nowadays ist es nicht ungewöhnlich, daß Oma auf der Straße ausgerechnet die finstere Warze von Punk anhaut und den lieben Jungen bittet, ihr mal eben die Briefmarke anzulecken oder so. 20 Jahre vorher war es an der Tagesordnung, daß Springer-verhetzte BVGler, Taxifahrer oder sonstige Gehirngreise regelrechte Treibjagden auf Langhaarige veranstalteten. Daß dabei wohl nie jemand/Fraud realiter „über die Mauer“ geschmissen wurde, wundert heute noch die Dabeigewesenen. Kein Tag ohne Anmache und Zoff mit Bullen, Blockwarten, Bauarbeitern. Das Imperium schlug zurück: blind, unbeherrscht und -zu recht- in seiner Existenz bedroht. Der heute so flexible Kapitalismus brach damals zwar nicht zusammen, aber er wurde nachhaltig und GRUNDSÄTZLICH in Frage gestellt und brauchte Jahre, bevor es ihm gelang, die neue Jugendkultur zumindest teilweise zu kanalisieren, zu vermarkten und damit zu killen. Die Hippies waren tot. Es lebten die Yippies (YIP = Youth International Party), der bewußteste und militanteste Teil der Bewegung, WELTWEIT. Radikale Jugendliche organisieren sich autonom: wo gibts denn sowas ! Schlimmer noch: sie wehren sich. Ein neues Gespenst (mit dem ersten, s.o., in der Großhirnrinde) betritt die Bühne: der Blues, der Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen, die Kifferbefreiungsfront. Namen sind Schall und Rauch, aber ohne beides ist die Geburt der Anti-Organisation nicht zu denken. Im Herbst 1969 kommt es anläßlich einer Razzia im „Unergründlichen Obdach für Reisende“ in der Fasanenstraße zu einer heftigen Schlacht mit den Bullen. Nicht die erste und beileibe nicht die letzte, aber sozusagen die offizielle Geburtstagsparty. Mit brennenden Wannen auf der Torte.
2. Transformation oder: der Anfang vom Anfang ?
Schon 1967 war die Kommune I (legendärer Vorläufer des Blues) aus dem SDS gefeuert worden. Das hatte die bürgerliche Linke davon: das zu revolutionierende Subjekt fand die (selbsternannte) Avantgarde ganz schön überflüssig und legte selber los. Lehrlinge und Studenten, Jungs und Mädels, Schwule und Heteros, für eine kurze Zeit blühte das revolutionäre Bündnis, die revolutionäre Kultur jenseits der linken Zwangscharaktere: Revolution ohne Emanzipation ist Konterrevolution. Das konnte natürlich nur ins Auge gehen, und zwar direkt in das der Machthaber; insbesondere, wenn sie unsere Flugschriften staatsanwaltlich rezensierten.
Womit wir beim Thema wären: Wieso FIZZ? Ganz einfach. das Geräusch, wenn Du eine Lunte anzündest. Westberlin 50Pfg., Westgermanien 60Pfg., Ostgermanien 2 Jahre Bautzen. Ein knappes Jahr, zehn Nummern, alle bis auf eine verboten und verfolgt (war wohl das Versehen einer Urlaubsvertretung). Warum FIZZ ? Auch ganz einfach: Die gute alte Agit 883 (ihrerseits auf den Schultern von Charly Kaputt und Linkseck stehend) hatte abgewirtschaftet. Natürlich ganz anarchistisch und solidarisch, aber gegen das letzte Gespenst gerichtet, von dem hier die Rede sein soll: dem bewaffneten Kampf, dem Widerstand, die Guerilla.
Wir erinnern uns: ein französischer Diplomat erfindet wortspielerisch die Dritte Welt, woraufhin diese zum Gewehr greift und dem Imperialismus weltweit Feuer unterm Arsch zu machen beginnt. Und wer, bitteschön, sitzt sozusagen im Herzen der Bestie ? Hunger verbindet, der Hunger in der Seele, der im Bauch aber auch. Wer das Wesen des Imperialismus begriffen hat, kommt an der Pflicht zum Handeln nicht vorbei.
Die ersten, die aus dieser Erkenntnis die praktische Konsequenz zogen, waren hierzulande die GenossInnen der RAF* (*Kein Schrieb ohne Fussnote: hier ist das Original gemeint; die aktuellen Leichenfledderer gehören noch nicht ins Bild). Und da das Verhältnis zwischen Anarchisten und Kommunisten nie ganz Spannungsfrei war (…), ließ das libertäre Pendant zur RAF nicht lange auf sich warten: aus dem Blues entstand die Bewegung 2. Juni. Die meisten von denen, die bis dahin die FIZZ getragen hatten, trugen fortan die Knarre. Den weiteren Verlauf der Geschichte kennen auch die jüngeren Mitbürger unter uns. Was nicht heißt, daß die Geschichte damit zu Ende wäre. Ganz im Gegenteil, ganz im Gegenteil. Nur die FIZZ war gestorben.
Und während Du auf Deinen Tod wartest, kannst Du ja mal ein bißchen in diesem verdienstvollen Reprint blättern und vielleicht….
Knofo, Mai 1989
vorwort veröffentlicht in:
FIZZ-REPRINT Nr.1-10
ANTI-QUARIAT REPRINT VERLAG
KLUADUOS DEKCOKCEHR
BERLIN KREUZBERG
1. Auflage 1989 (1. – 1.500 T.)
Papier: 80gr. Werkdruck
300 Exemplare der 1. Auflage sind auf 90gr. Werkdruck gedruckt,
handnummeriert und als Vorzugsausgabe gekennzeichnet.
Diesen Exemplaren sind 5 Poster(A2) beigelegt.
fizz – der anfang vom anfang
+ + + dokumentation + + +
Wenn sich das verdammte Karussell so schnell dreht, daß Tragödie & Farce nicht mehr auseinanderzuhalten sind; wenn auf der Stelle-treten als Bewegung mißverstanden wird; wenn das revolutionäre Subjekt die Therapie nötiger als die Theorie zu haben scheint – wenn einem/einer ständig soviel Blödes widerfährt, dann ist das schon mal einen Blick auf Vergangenes wert.
Vergangenes ? Wir befinden uns im letzten Drittel der verstopften 60er Jahre. Höhere Töchter und Söhne zupfen an den Säumen der Talare. Der braune Pesthauch, der dabei frei wird, treibt einigen die Tränen in die Augen und andere in die kommunistischen Kaderparteien, die 1970/71 gleich im halben Dutzend gegründet werden. Unbemerkt von denen, die 20 Jahre später die 68er Bewegung in ihren FU-Seminaren in eine „Studenten-Revolte“ umlügen werden, geht ein Gespenst in Europa um: das Gespenst einer Nutzpflanze mit Namen Cannabis. Ihre Wirkung ist verheerend: die Haare wachsen wie verrückt, die Klamotten werden immer bunter, eine Musik wird gemacht, die die Verwachsenen zu Paaren treibt. Doch das ist erst der Anfang. Proletarische Jugendliche verschlingen Reich, Hesse, Bakunin, Porno-Comics und die Erinnerungen großer russischer Terroristinnen. Weltweit werden die Befreiung Vietnams und der Liebe eingeklagt. Es gibt (noch) keine alternativen Nischen, in die man/frau sich flüchten kann. Jede Lebensäußerung dieser neuen Jugendkultur ist eine Kriegserklärung an den Staat, den Klerus, die Parteien – kurzum: DAS SYSTEM.
Der Ganze Mensch vibriert im Rhythmus der revolutionären
Frequenz: turn on, tune in, drop out.
Es gibt nur e i n Zurück,
das angebotene Stück Kuchen zurück in
die Fresse der Herrschenden:
wir wollen die ganze verdammte Bäckerei.
Schnitt.
Nowadays ist es nicht ungewöhnlich, daß Oma auf der Straße ausgerechnet die finstere Warze von Punk anhaut und den lieben Jungen bittet, ihr mal eben die Briefmarke anzulecken oder so. 20 Jahre vorher war es an der Tagesordnung, daß Springer-verhetzte BVGler, Taxifahrer oder sonstige Gehirngreise regelrechte Treibjagden auf Langhaarige veranstalteten. Daß dabei wohl nie jemand/Fraud realiter „über die Mauer“ geschmissen wurde, wundert heute noch die Dabeigewesenen. Kein Tag ohne Anmache und Zoff mit Bullen, Blockwarten, Bauarbeitern. Das Imperium schlug zurück: blind, unbeherrscht und -zu recht- in seiner Existenz bedroht. Der heute so flexible Kapitalismus brach damals zwar nicht zusammen, aber er wurde nachhaltig und GRUNDSÄTZLICH in Frage gestellt und brauchte Jahre, bevor es ihm gelang, die neue Jugendkultur zumindest teilweise zu kanalisieren, zu vermarkten und damit zu killen. Die Hippies waren tot. Es lebten die Yippies (YIP = Youth International Party), der bewußteste und militanteste Teil der Bewegung, WELTWEIT. Radikale Jugendliche organisieren sich autonom: wo gibts denn sowas ! Schlimmer noch: sie wehren sich. Ein neues Gespenst (mit dem ersten, s.o., in der Großhirnrinde) betritt die Bühne: der Blues, der Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen, die Kifferbefreiungsfront. Namen sind Schall und Rauch, aber ohne beides ist die Geburt der Anti-Organisation nicht zu denken. Im Herbst 1969 kommt es anläßlich einer Razzia im „Unergründlichen Obdach für Reisende“ in der Fasanenstraße zu einer heftigen Schlacht mit den Bullen. Nicht die erste und beileibe nicht die letzte, aber sozusagen die offizielle Geburtstagsparty. Mit brennenden Wannen auf der Torte.
2. Transformation oder: der Anfang vom Anfang ?
Schon 1967 war die Kommune I (legendärer Vorläufer des Blues) aus dem SDS gefeuert worden. Das hatte die bürgerliche Linke davon: das zu revolutionierende Subjekt fand die (selbsternannte) Avantgarde ganz schön überflüssig und legte selber los. Lehrlinge und Studenten, Jungs und Mädels, Schwule und Heteros, für eine kurze Zeit blühte das revolutionäre Bündnis, die revolutionäre Kultur jenseits der linken Zwangscharaktere: Revolution ohne Emanzipation ist Konterrevolution. Das konnte natürlich nur ins Auge gehen, und zwar direkt in das der Machthaber; insbesondere, wenn sie unsere Flugschriften staatsanwaltlich rezensierten.
Womit wir beim Thema wären: Wieso FIZZ? Ganz einfach. das Geräusch, wenn Du eine Lunte anzündest. Westberlin 50Pfg., Westgermanien 60Pfg., Ostgermanien 2 Jahre Bautzen. Ein knappes Jahr, zehn Nummern, alle bis auf eine verboten und verfolgt (war wohl das Versehen einer Urlaubsvertretung). Warum FIZZ ? Auch ganz einfach: Die gute alte Agit 883 (ihrerseits auf den Schultern von Charly Kaputt und Linkseck stehend) hatte abgewirtschaftet. Natürlich ganz anarchistisch und solidarisch, aber gegen das letzte Gespenst gerichtet, von dem hier die Rede sein soll: dem bewaffneten Kampf, dem Widerstand, die Guerilla.
Wir erinnern uns: ein französischer Diplomat erfindet wortspielerisch die Dritte Welt, woraufhin diese zum Gewehr greift und dem Imperialismus weltweit Feuer unterm Arsch zu machen beginnt. Und wer, bitteschön, sitzt sozusagen im Herzen der Bestie ? Hunger verbindet, der Hunger in der Seele, der im Bauch aber auch. Wer das Wesen des Imperialismus begriffen hat, kommt an der Pflicht zum Handeln nicht vorbei.
Die ersten, die aus dieser Erkenntnis die praktische Konsequenz zogen, waren hierzulande die GenossInnen der RAF* (*Kein Schrieb ohne Fussnote: hier ist das Original gemeint; die aktuellen Leichenfledderer gehören noch nicht ins Bild). Und da das Verhältnis zwischen Anarchisten und Kommunisten nie ganz Spannungsfrei war (…), ließ das libertäre Pendant zur RAF nicht lange auf sich warten: aus dem Blues entstand die Bewegung 2. Juni. Die meisten von denen, die bis dahin die FIZZ getragen hatten, trugen fortan die Knarre. Den weiteren Verlauf der Geschichte kennen auch die jüngeren Mitbürger unter uns. Was nicht heißt, daß die Geschichte damit zu Ende wäre. Ganz im Gegenteil, ganz im Gegenteil. Nur die FIZZ war gestorben.
Und während Du auf Deinen Tod wartest, kannst Du ja mal ein bißchen in diesem verdienstvollen Reprint blättern und vielleicht….
Knofo, Mai 1989
vorwort veröffentlicht in:
FIZZ-REPRINT Nr.1-10
ANTI-QUARIAT REPRINT VERLAG
KLUADUOS DEKCOKCEHR
BERLIN KREUZBERG
1. Auflage 1989 (1. – 1.500 T.)
Papier: 80gr. Werkdruck
300 Exemplare der 1. Auflage sind auf 90gr. Werkdruck gedruckt,
handnummeriert und als Vorzugsausgabe gekennzeichnet.
Diesen Exemplaren sind 5 Poster(A2) beigelegt.
Anti-Quariat: www.anti-quariat.de