Thomas Weisbecker wurde am 24. Februar 1949 in Freiburg im Breisgau von Rotraud Weisbecker-Röttger geboren. Sein Vater Ludwig Weisbecker war unter der Nazi-Diktatur Häftling im Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, sein jüdischer Grossvater Louis Weisbecker war in den KZ’s Auschwitz und Mauthausen gewesen. Der Bruder seines Grossvaters wurde ermordet. Die Grossmutter Marie Weisbecker half beim Überleben des Großvaters und Vaters in den 40er Jahren.
Die Grosseltern mütterlicherseits, Hella und Karl Röttger, lebten mit ihren drei Kindern (Rotraud, Gerda und Helmut) in Düsseldorf-Gerresheim. Die Familie Röttger war eng befreundet mit der jüdischen Familie Zürndorfer. Die beiden Töchter der Familie Zürndorfer, Hannele und Lotte, konnten der Shoa noch mit einem der letzten Kindertransporte im Mai 1939 von Düsseldorf nach England entkommen, die Eltern Zürndorfer wurden von den Nazis 1942 im Ghetto Litzmannstadt und im Vernichtungslager Chelmno ermordet. Die Mutter von Tommy übersetzte später das Buch „Verlorene Welt. Jüdische Kindheit im Dritten Reich“ ihrer Freundin Hannele Zürndorfer über deren frühe Jugendjahre.
Tommy Weisbecker zog mit seiner Familie über Karlsruhe (1958) nach Kiel (1962), wo er mit seinen beiden Geschwistern Verena und Lutz auf die Schule kam, die Georg von Rauch ein Jahr vorher verlassen musste. Unlösbare Schwierigkeiten mit der Schulleitung veranlassten auch Tommy, die Kieler Gelehrtenschule Anfang 1967 zu verlassen und sich wieder an seiner alten Schule in Karlsruhe anzumelden. In den Ferien kam er mit neuen politischen Ideen und Erfahrungen nach Kiel zurück und war mit seiner Schwester Verena am Aufbau und an Aktionen der Basisgruppe Kiel vom Aktionszentrum Unabhängiger Sozialistischer Schüler (AUSS) beteiligt. Diese bundesweite Schülerinnen- und Schülerorganisation war als Zusammenschluss sozialistischer Schulgruppen im ersten Halbjahr 1967 entstanden.
Nach dem Abitur 1968 in Karlsruhe begann er sein Studium in Frankfurt am Main. Er unterstützte die Heimkampagne mit dem Ziel, das Recht auf selbstbestimmtes Leben zu erkämpfen und lebte gemeinsam mit den damals sogenannten „Heim-/Fürsorgezöglingen“ und Lehrlingen. Um der Einberufung zur Bundeswehr zuvorzukommen, zog er nach Westberlin und wohnte mit seiner damaligen Freundin Susanne Plambeck zusammen.
Über das Berliner APO-, Haschrebellen- und Kommune-Umfeld kam er zum anarchistischen linken militanten Blues (später vereinte sich dieser mit anderen zur Bewegung 2. Juni). Der Blues war Ende der 60er, Anfang der 70er für mehrere Brand-, Sprengstoff-, Knallkörperanschläge und weiteres verantwortlich, z.B. für Aktionen gegen US-Einrichtungen wegen desVietnamkriegs, gegen Justizeinrichtungen, Banken, Rathäuser, Bezirksämter und Konsulate sowie gegen die reaktionäre Presse. So gab es unter anderem Anschläge auf die Wohnung vom Landsgerichtdirektor, den Oberstaatsanwalt, das KaDeWe, den Leiter des Zentralgefängnisses in Tegel und die Wohnung des Präsidenten des Strafvollzuges. Über das im Juli 1969 in der Nähe von Bamberg stattgefundene Knastcamp Ebrach reiste er weiter nach Italien und wurde mit Georg v. Rauch Teil des internationalen Gefangenen- und Selbstschutznetzwerks Anarchist Black Cross (ABC). Im Februar 1970 überfiel Tommy zusammen mit Georg und anderen einen Quick-Reporter und verprügelten ihn. Im Juli 1970 wurde Tommy Weisbecker in Westberlin festgenommen und kam in Untersuchungshaft.
Bis zum Prozessbeginn ein Jahr später blieb er in U-Haft und musste sich im Juli 1971 zusammen mit Georg von Rauch und Bommi Baumann im Moabiter Kriminalgericht für den Angriff auf den Quick-Reporter verantworten. Da die Verhandlung wegen Beschaffung weiterer Beweisanträge um eine Woche vertagt worden war, hatte das Gericht dem Antrag auf Haftverschonung für Baumann und Tommy am 8. Juli 1971 entsprochen. Lediglich Georg von Rauch mußte auf Grund eines Brandanschlags auf das Kammergericht und eines anderen Verfahrens zurück in die Untersuchungshaft. Da Tommy Weisbecker und Georg von Rauch eine gewisse Ähnlichkeit besassen, tauschten die beiden im Gerichtssaal die Rollen. Als der Richter verkündete, Baumann und Weisbecker können den Gerichtssaal verlassen, ging Georg von Rauch anstelle von Tommy, der Georgs Brille aufgesetzt hatte. Daraufhin wurde Tommy abgeführt, doch er erklärte, er wäre gar nicht von Rauch sondern Weisbecker und durfte ebenfalls das Gefängnis neben dem Gerichtssaal mit den über dieses „Verwechslungs-go-out“ verwirrten Beamten verlassen. Wegen angeblicher Gefangenenbefreiung wurde er dann nochmal für vier Tage verhaftet und tauchte nach seiner Freilassung unter. Zu der Zeit schloss er sich auch der ein Jahr vorher gegründeten Roten Armee Fraktion (RAF) an und lebte bis zu seinem Tod in der Illegalität.
Durch einen Zufall kam ihm die Polizei in Augsburg auf die Spur, wo sie ihn und die von ihm genutzte Wohnung in einem Haus in der Georgenstrasse vier Wochen lang rund um die Uhr überwachten. Am 2. März 1972 verließ Tommy Weisbecker zusammen mit Carmen Roll das Haus. In der Innenstadt trennten sich ihre Wege und zwei Beamte verfolgten Tommy.
Laut Aussage der Polizei wurde Tommy Weisbecker, ohne eine Waffe zu ziehen, in „Notwehr“ aus kurzer Entfernung durch einen Herzschuss getötet. Desweiteren gab die Polizei an, daß der Beamte, der ihn erschoss, erst vor kurzem eine Ausbildung in »Kampfmäßigem Schiessen« erhalten hatte. Eine von der Mutter von Tommy gestellte Strafanzeige wegen Verdachts der vorsätzliche Tötung wies die Staatsanwaltschaft des Landgerichts Augsburg am 28. August desselben Jahres ab und stellte das Verfahren ein.
Der 23-jährige Tommy Weisbecker (Blues,RAF) wurde – so wie schon drei Monate vorher am 4.Dezember 1971 der 24-jährige Georg von Rauch (Blues) und am 15. Juli 1971 die 20-jährige Petra Schelm (RAF) – von deutschen Polizeibeamten erschossen.
Nach 1945 wurde diese extreme Form der staatlichen Gewalt gegen Linke zum ersten Mal auch offen wieder von den Behörden befürwortet und propagiert.
In Bezug auf diese auch ‚politischen Morde‘ genannten Todesschüsse und in Solidarität mit den Erschossenen wurden in Berlin die Kollektive Georg-von-Rauch-Haus (1971) und Tommy-Weisbecker-Haus (1973) gegründet.
wer war tommy weisbecker
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Die Grosseltern mütterlicherseits, Hella und Karl Röttger, lebten mit ihren drei Kindern (Rotraud, Gerda und Helmut) in Düsseldorf-Gerresheim. Die Familie Röttger war eng befreundet mit der jüdischen Familie Zürndorfer. Die beiden Töchter der Familie Zürndorfer, Hannele und Lotte, konnten der Shoa noch mit einem der letzten Kindertransporte im Mai 1939 von Düsseldorf nach England entkommen, die Eltern Zürndorfer wurden von den Nazis 1942 im Ghetto Litzmannstadt und im Vernichtungslager Chelmno ermordet. Die Mutter von Tommy übersetzte später das Buch „Verlorene Welt. Jüdische Kindheit im Dritten Reich“ ihrer Freundin Hannele Zürndorfer über deren frühe Jugendjahre.
Tommy Weisbecker zog mit seiner Familie über Karlsruhe (1958) nach Kiel (1962), wo er mit seinen beiden Geschwistern Verena und Lutz auf die Schule kam, die Georg von Rauch ein Jahr vorher verlassen musste. Unlösbare Schwierigkeiten mit der Schulleitung veranlassten auch Tommy, die Kieler Gelehrtenschule Anfang 1967 zu verlassen und sich wieder an seiner alten Schule in Karlsruhe anzumelden. In den Ferien kam er mit neuen politischen Ideen und Erfahrungen nach Kiel zurück und war mit seiner Schwester Verena am Aufbau und an Aktionen der Basisgruppe Kiel vom Aktionszentrum Unabhängiger Sozialistischer Schüler (AUSS) beteiligt. Diese bundesweite Schülerinnen- und Schülerorganisation war als Zusammenschluss sozialistischer Schulgruppen im ersten Halbjahr 1967 entstanden.
Nach dem Abitur 1968 in Karlsruhe begann er sein Studium in Frankfurt am Main. Er unterstützte die Heimkampagne mit dem Ziel, das Recht auf selbstbestimmtes Leben zu erkämpfen und lebte gemeinsam mit den damals sogenannten „Heim-/Fürsorgezöglingen“ und Lehrlingen. Um der Einberufung zur Bundeswehr zuvorzukommen, zog er nach Westberlin und wohnte mit seiner damaligen Freundin Susanne Plambeck zusammen.
Über das Berliner APO-, Haschrebellen- und Kommune-Umfeld kam er zum anarchistischen linken militanten Blues (später vereinte sich dieser mit anderen zur Bewegung 2. Juni). Der Blues war Ende der 60er, Anfang der 70er für mehrere Brand-, Sprengstoff-, Knallkörperanschläge und weiteres verantwortlich, z.B. für Aktionen gegen US-Einrichtungen wegen desVietnamkriegs, gegen Justizeinrichtungen, Banken, Rathäuser, Bezirksämter und Konsulate sowie gegen die reaktionäre Presse. So gab es unter anderem Anschläge auf die Wohnung vom Landsgerichtdirektor, den Oberstaatsanwalt, das KaDeWe, den Leiter des Zentralgefängnisses in Tegel und die Wohnung des Präsidenten des Strafvollzuges. Über das im Juli 1969 in der Nähe von Bamberg stattgefundene Knastcamp Ebrach reiste er weiter nach Italien und wurde mit Georg v. Rauch Teil des internationalen Gefangenen- und Selbstschutznetzwerks Anarchist Black Cross (ABC). Im Februar 1970 überfiel Tommy zusammen mit Georg und anderen einen Quick-Reporter und verprügelten ihn. Im Juli 1970 wurde Tommy Weisbecker in Westberlin festgenommen und kam in Untersuchungshaft.
Bis zum Prozessbeginn ein Jahr später blieb er in U-Haft und musste sich im Juli 1971 zusammen mit Georg von Rauch und Bommi Baumann im Moabiter Kriminalgericht für den Angriff auf den Quick-Reporter verantworten. Da die Verhandlung wegen Beschaffung weiterer Beweisanträge um eine Woche vertagt worden war, hatte das Gericht dem Antrag auf Haftverschonung für Baumann und Tommy am 8. Juli 1971 entsprochen. Lediglich Georg von Rauch mußte auf Grund eines Brandanschlags auf das Kammergericht und eines anderen Verfahrens zurück in die Untersuchungshaft. Da Tommy Weisbecker und Georg von Rauch eine gewisse Ähnlichkeit besassen, tauschten die beiden im Gerichtssaal die Rollen. Als der Richter verkündete, Baumann und Weisbecker können den Gerichtssaal verlassen, ging Georg von Rauch anstelle von Tommy, der Georgs Brille aufgesetzt hatte. Daraufhin wurde Tommy abgeführt, doch er erklärte, er wäre gar nicht von Rauch sondern Weisbecker und durfte ebenfalls das Gefängnis neben dem Gerichtssaal mit den über dieses „Verwechslungs-go-out“ verwirrten Beamten verlassen. Wegen angeblicher Gefangenenbefreiung wurde er dann nochmal für vier Tage verhaftet und tauchte nach seiner Freilassung unter. Zu der Zeit schloss er sich auch der ein Jahr vorher gegründeten Roten Armee Fraktion (RAF) an und lebte bis zu seinem Tod in der Illegalität.
Durch einen Zufall kam ihm die Polizei in Augsburg auf die Spur, wo sie ihn und die von ihm genutzte Wohnung in einem Haus in der Georgenstrasse vier Wochen lang rund um die Uhr überwachten. Am 2. März 1972 verließ Tommy Weisbecker zusammen mit Carmen Roll das Haus. In der Innenstadt trennten sich ihre Wege und zwei Beamte verfolgten Tommy.
Laut Aussage der Polizei wurde Tommy Weisbecker, ohne eine Waffe zu ziehen, in „Notwehr“ aus kurzer Entfernung durch einen Herzschuss getötet. Desweiteren gab die Polizei an, daß der Beamte, der ihn erschoss, erst vor kurzem eine Ausbildung in »Kampfmäßigem Schiessen« erhalten hatte. Eine von der Mutter von Tommy gestellte Strafanzeige wegen Verdachts der vorsätzliche Tötung wies die Staatsanwaltschaft des Landgerichts Augsburg am 28. August desselben Jahres ab und stellte das Verfahren ein.
Nach 1945 wurde diese extreme Form der staatlichen Gewalt gegen Linke zum ersten Mal auch offen wieder von den Behörden befürwortet und propagiert.
In Bezug auf diese auch ‚politischen Morde‘ genannten Todesschüsse und in Solidarität mit den Erschossenen wurden in Berlin die Kollektive Georg-von-Rauch-Haus (1971) und Tommy-Weisbecker-Haus (1973) gegründet.