von einem knoten zum andern

unser ausbruch aus dem berliner frauengefängnis

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(…)

da wird die Tür von innen aufgerissen: Zwei Bullen mit Pistolen im Anschlag. Von unten kamen auch welche die Treppen hoch. Das Haus war umstellt. Naja, dann haben sie uns erstmal in der Wohnung abgetastet und die Waffen weggenommen. Das war am 13. September 1975. Wir sind praktisch zu gar nichts gekommen. Sie haben uns völlig überrumpelt. Ja, und dann waren wir verhaftet.

Waren die anderen Frauen aus der Bewegung 2. Juni im selben Knast?

Juliane Plambeck und Inge Viett waren auch in der Lehrter Straße.

Konntest du sie sehen?

Später ja. Erstmal wurde ich in die Zelle gebracht, ich dachte, oh, hier werde ich also die nächsten Jahre meines Lebens verbringen. Es gab einen Steinkasten, der als Bett gedacht war, nur mit einer Matratze drauf, eine Toilette und sonst gar nichts. Das war aber nur eine Durchgangszelle. Irgendwie war ich willens, das alles auf mich zu nehmen und ich sagte mir: Na gut, wenn das also der Knast ist, dann mußt du dich damit zurechtfinden. Ich blieb aber nur einen halben Tag in dieser Zelle. Sie machten natürlich auch Verhörversuche, wollten mit mir reden. Da hab ich mich total verweigert. Sie haben mich dann in Ruhe gelassen.

Willst du sagen: Im Gefängnis ist immer soviel los, daß es nicht langweilig wird?

Der ganze Sicherheitsapperat war auf den Beinen, um sich den Fang anzugucken, so schien es mir. Du mußt die ganze Zeit aufpassen, was geschieht. Ich hab mich gegen alles gewehrt: Fingerabdrücke nehmen, fotografieren. Das lief dann mit Gewalt. Auch beim Fotografieren erwischen sie einen Moment, wo man das Gesicht grad nicht verzogen hat. Wir haben ja immer Grimassen gemacht, um ihnen keine guten Fahndungsfotos zu liefern. Du bist die ganze Zeit unter Streß.

Unter welchem Label wurdet ihr geführt?

Bewegung 2. Juni

Das war denen klar?

Ja, Inge und Ralf waren ja bekannt als Mitglieder der Bewegung 2. Juni und Fritz zählte man auch dazu.

Über die Haftbedingungen wird man später noch ausführlich sprechen können…

Vielleicht muß man sagen: In der Lehrter Straße gab es jetzt noch ganz andere Haftbedingungen als 1978, als wir zum zweiten Mal verhaftet wurden.

Und was war der Unterschied?

Wir kamen in einen normalen Frauenknast. Normal heißt: die Frauen waren nicht voneinander isoliert. Abends wurde zum Beispiel die Zelle aufgeschlossen, und da stand vor der Tür eine Wachtel – also eine Wärterin, wir haben sie Wachtel genannt – mit zwei Gefangenen neben sich, die mir aus einem großen Kasten Schokoküsse anboten.

Das war wohl eine ironische Anspielung auf euren Banküberfall mit Verteilung von Schokoküssen?

Natürlich. Das war total witzig. Stell dir vor: Die Wärterin schließt auf, damit die Gefangenen mir Schokoküsse überreichen können. Ein richtig netter Empfang. Die normalen Gefangenen waren damals stark politisiert, viele sympathisierten mit uns, weil unser Kampf auch für sie eine Hoffnung war. Sie waren meist gut informiert über die aktuellen Aktionen der RAF und der Bewegung 2. Juni und hatten natürlich auch von unserem Banküberfall mit den Schokoküssen gelesen.
Am nächsten Tag hat die Gefangene in der Zelle über mir an einer Leine eine Tüte mit einem Kotelett heruntergelassen. Sie war Zigeunerin und gehörte zur Familie von Hänschen Weiß, dem Musiker. Sie hat mir am Fenster immer von ihrer Familie erzählt, von der ein Großteil im KZ umgebracht worden war.
Es war ein richtig reges Treiben. Es war ein normaler Knast, und das heißt: Die Gefangenen haben die Möglichkeit untereinander zu kommunizieren. Die Fenster waren zwar vergittert, aber man konnte von Fenster zu Fenster pendeln. Wir haben manchmal mit langen Bändern, Wollfäden oder was wir hatten, Lebensmittel oder Zeitschriften über mehrere Fenster hinweg geschleudert. Und manchmal sogar quer über den Hof. Im vierten Stock saßen zwei RAF-Gefangene, und zwar Brigitte Mohnhaupt und Ingrid Schubert.

Waren sie auch im Normalvollzug?

Ja. Sie hatten nachmittags in kleinen Gruppen von sechs bis sieben Gefangenen Aufschluß und konnten Fernsehen gucken. Die haben zum Beispiel Marzipan selbst gemacht und uns das runtergeworfen, wenn wir Hofgang hatten. Wir hatten mit ihnen zusammen keinen Hofgang.
Unsere Station war im dritten Stock. Ich konnte auch nicht mit Juliane Plambeck und Inge Viett zusammen kommen, sondern nur mit denen von meiner Station, wie Monika Berberich, die auch zur RAF gehörte, und Ilse Schwipper, die im Zusammenhang mit der Erschießung des Verfassungsschutz-Agenten Schmücker drin war.

Hatten eure leichteren Haftbedingungen damit zu tun, daß ihr in Berlin einsaßt?

Ja, das lag an Berlin. In der Lehrter Straße war der normale, übliche Frauenvollzug. Auch die Männer der Bewegung 2. Juni, die in Moabit saßen, waren nicht total isoliert. Am schärfsten war der Strafvollzug ibn Kölln, wo es den Toten Trakt gab, in dem Astrid Proll und dann Ulrike Meinhof lange saßen. Die Gefangenen der RAF waren über die Bundesrepublik verstreut und alle in Einzelhaft. Kleingruppenisolation in Hochsicherheitstrakten gab es, von Stammheim abgesehen, erst in den achtziger Jahren: In Celle, Kölln, Lübeck und in Berlin dann auch.

Darauf kommen wir dann später. War es denn so, daß ihr sehr früh schon auf Flucht programmiert wart?

Ja

Daß ihr gar nicht so besonders mutlos wart, weil man das Ganze als eine Art Durchgangsstation sah?

Stimmt, gleich von Anfang an.

Und wie kam das? Habt ihr gleich das unvergitterte Dachfensterchen in der Bibliothek gesehen?

Nein, das haben wir nicht sofort entdeckt. Wir hatten zunächst eine andere Fluchtidee, die aber scheiterte, weil wir verlegt wurden. Wir sind nach zehn Monaten ausgebrochen und vielleicht nach drei Monaten oder vier haben wir dieses Fenster entdeckt.

Ihr mußtet ja einen Schlüssel haben.

Ja, um aus der Zelle herauszukommen.

Beim Tischtennisspielen hat eine Sozialarbeiterin ihre Schlüssel auf den Tisch gelegt.

Wir hatten Knetgummi und damit haben wir einen Schlüsselabdruck gemacht. Der Schlüssel ist draußen angefertigt worden und kam dann irgendwann zurück. Monika Berberich bekam ihn, sie konnte damit aus der Zelle. Sie hatte eine Essensklappe in ihrer Zellentür. Sie konnte durch die Essenklappe greifen, von außen ihre Zelle aufschließen und danach auch unsere Zellen. Am Tag, als der Ausbruch stattfinden sollte, hat sie alle vier Zellen aufgeschlossen. Wir haben uns eine Zeitlang in einer Besenkammer aufgehalten, bis die Wachteln, die ihren Rundgang machten, kamen.

Dann seid ihr durch das Oberlicht aufs Dach geklettert. Das ist ja wie im Kino. Hattet ihr keine Angst runterzufallen?

Doch, das hätte passieren können.

War das mitten im Winter?

Nein, es war im Juni.

Im Juni? Das ist ja wunderbar. Und es hat nicht geregnet?

Das Wetter war ideal für unser Vorhaben, relativ warm und trocken.

Hattet ihr diese gestreiften Sträflingsanzüge an?

… und eine schwere Kugel am Fuß. Nein, unsere normalen Klamotten. Wir waren ja Untersuchungshäftlinge. Die dürfen ihre eigene Kleidung tragen. Wir trugen Jeans und Jacken. Es war schon eine gefährliche Klettertour.

Steil- oder Flachdach?

Wir mußten erstmal aus einem Fenster raus und dann auf ein Dach kommen. Auf dem Dach mußten wir uns an zwei Fenstern von anderen Gefangenen vorbeihangeln, bis wir zu der Mauer kamen, die oben aber diese Reiter draufhatte.

Was heißt Reiter? Spitze Dinger?

Spitze Dinger, die oben nach zwei Seiten gebogen waren. An einen dieser Reiter haben wir ein langes Seil aus zusammengeknoteten Bettüchern festgebunden.

Seid ihr direkt auf die Mauer oder erstmal runter in den Hof?

Nein, direkt auf die Mauer. Es war schon ein bißchen heikel. Aber wir waren ja ganz gut trainiert.

Vier Frauen. Eine nach der anderen.

So ungefähr. Dann sind wir da runtert. Das waren vielleicht sechs Meter von da oben.

Ihr hattet nur diese Bettücher?

Nur die. Ich wollte mich ganz langsam von einem Knoten zum andern runterlassen. Das klappte nicht, ich konnte mich nicht richtig festhalten und bin dann, ritsch, ganz schnell nach unten gerutscht. Unten lagen Gitter auf dem Boden, die furchtbar schepperten, aber die Straße war total verlassen.

Da war niemand zu sehen?

Zum Glück nicht. Wir haben trotzdem diese Krähenfüße geschmissen, die im Auto, das uns abgeholt hat, bereitlagen. Wichtig ist, daß wir mit Monika Berberich freigekommen sind. Sie war sozusagen unser erster Kontakt zur RAF. Wir haben uns im Knast stark mit den Strategien der RAF beschäftigt. Vor allem mit ihrem Hungerstreiks. Wir haben keinen Hungerstreik gemacht damals. Aber wir haben uns damit auseinandergesetzt: ob das die richtige Taktik ist. Wir haben immer gedacht: Nein, man muß doch ausbrechen. Aber in dem Augenblick natürlich, wo du nicht mehr ausbrechen kannst, mußt du dir was anderes überlegen.

Der Hungerstreik ist das letzte Mittel.

Vollkommen richtig.

Dann wart ihr also draußen. Süßer Vogel Freiheit. Das war ein gutes Gefühl, oder?

Ja, das war toll. Wir können Berge versetzen, das war unsere Stimmung damals.

„Die Zeitungen machten uns zu entsprungenen Monstern“, lese ich hier bei Inge Viett. „Sie fuhren mit aufgepflanzten lebensgroßen Bildern von uns durch die Straßen und forderten die Bevölkerung zur Denunziation auf.“

Die haben schon ziemliche Anstrengungen gemacht, um uns wieder zu kriegen. Die erste Zeit waren wir sehr gefährdet. Wir mußten die Wohnung mehrmals wechseln, weil wir uns unsicher fühlten. Die Polizei fuhr ja tatsächlich auf Holzplatten geklebte Ganzkörperfotos von uns durch die Stadt.

Was hattest du da an? Eine rote Lederjacke?

Nein, eine schwarze Jacke. Sie haben das Foto genommen, das sie gleich nach der Verhaftung gemacht hatten.

Danach bist du zwei Jahre frei gewesen, wenn ich das richtig sehe.

Am 7. Juli ’76 sind wir ausgebrochen. Bis zum 21. Juni 1978 bin ich frei gewesen.

(…)

    Zu dem Interviewer: Daniel Dubbe, freier Schriftsteller und Journalist, veröffentlichte u.a.
    Wir kamen von einem anderen Stern (mit Thorwald Proll, 2003)

 

veröffentlicht in:

Keine Angst vor niemand
Über die Siebziger,
die Bewegung 2. Juni
und die RAF

Gabriele Rollnik

Edition Nautilus, Hamburg 2003
Verlag Lutz Schulenburg
1.Auflage 2004

S. 57-63

www.edition-nautilus.de