die jahre im knast

+ + + dokumentation + + +


Die Jahre im Knast

    Ralf Reinders wird am 10. September 1975 in einer Steglitzer Ladenwohnung zusammen mit Inge Viett und Juliane Plambeck von einem Sondereinsatzkommando der Berliner Polizei verhaftet. Vorausgegangen waren fünf Jahre in der Illegalität und zahlreiche Aktionen bei den Haschrebellen, der RAF und der Bewegung 2. Juni. Folgen sollten fünfzehn Jahre Knast in Totalisolation, Kleingruppenvollzug, Trakt und sogenanntem Normalvollzug. Eine Woche vor seiner Entlassung am 14. September 1990 sitzt Ralf Reinders während eines Hafturlaubs mit ein paar alten GenossInnen zusammen und redet über die Knastjahre. Ein Tonband läuft mit. Eine gekürzte Fassung des mehrstündigen Gespräches auf den folgenden Seiten.

Frage: … und dann kommt aus dem Telefon: Bär ist dran. Ich sage, wer ist da? – Bär. Ich sage, kannste doch vergessen. Bär am Telefon? Völlig unmöglich. Und es hat richtig lange gedauert, bis ich kapiert habe, daß du mich anrufst. Das war 1986.

Ralf Reinders: Telefonerlaubnis hatten wir von ’86 an. Als wir schon zwei Jahre in Moabit im Haus 3 waren.

Und wie war das für dich, zum ersten Mal nach draußen telefonieren zu können?

Sehr seltsam. Aber ich mag Telefone sowieso nicht. Und aus dem Knast heraus, wenn du halt niemanden siehst und nur ’ne Stimme hörst, keine Mimik siehst, keine Grimassen, nischt – und dazu dann immer noch jemand, der daneben sitzt und mithört: entsetzlich. Das Telefonieren war aber auch notwendig, um ein Stück von der Normalität wieder mitzubekommen.

Konntet ihr dann telefonieren wie ihr wolltet?

Wir konnten einmal in der Woche telefonieren. Fünf Minuten. Täglich durften in Haus III pro Station vier Gefangene telefonieren. Die mußten sich da montags immer in ’ne Liste eintragen. Eine ganze Station, das waren 40 bis 44 Leute. 28 konnten sich aber nur in die Liste eintragen. Man mußte Schlange stehen, um sich eintragen zu können. Und wer als Letzter kam, der hatte eben Pech.
     Telefoniert werden konnte dann in der Zeit zwischen sechs und acht Uhr abends.

Und wie habt ihr sonst den Kontakt nach außen gehalten?

Na, durch Briefe und Besuche.

Sind die kontrolliert worden?

Ja, bis zum Schluß.

Wie war das mit den Besuchen? Sind die auch überwacht worden?

Ja, bis März ’85. Von Anfang ’85 an konnten wir auch an den Stations-Meetings teilnehmen. Das waren so Gruppensprechstunden, die einmal im Monat stattfanden. 12-14 Gefangene konnten ohne akustische Überwachung bei Kaffee und Kuchen mit ihren Angehörigen zusammensitzen.

Aber wie war das, von da drinnen, nach ‚zig Jahren Knast? Konntest du ’ne Vorstellung und ein Gefühl dafür haben, daß ich da in einer Wohngemeinschaft, in einer Küche sitze, ganz viele Plakate an der Wand, mit anderen zusammensitze?

Meine Vorstellung war eigentlich so wie bei ner Sprechstunde. Da sitzt halt jemand und du kannst dich austauschen. Aber so vom Gefühl her, wie der halt draußen lebt und so, das ist noch verdrängt gewesen. Das kam eigentlich erst viel später.

Aber man verliert das Gefühl für das ganz normale Leben draußen?

Ja, natürlich. Es ist ja erstmal das konserviert, wie du vorher gelebt hast. Und diese Vorstellung ist in deinem Bauch drin und das ändert sich ja auch nicht durch die Erzählungen. Du kriegst zwar über den Kopf mit, daß sich was verändert, aber das auch gefühlsmäßig zu realisieren geht unter den relativ isolierten Bedingungen nicht. Und da besteht natürlich ’ne erhebliche Diskrepanz. Und das merkste erst dann, wenn du rauskommst.

Was ist das für eine Erfahrung, nach 15 Jahren Knast, in Berlin auf der Skalitzer Straße zu stehen und zu gucken, wie die Autos vorbeifahren?

Es waren vor allem die Gerüche. Dieser wahnsinnige Abgasgestank, der mir auf’n Keks ging. Dann so nach Kreuzberg rein, so die ganzen orientalischen Gerüche. Aus jedem Lokal kam ein anderer Geruch. Das ging mir unheimlich intensiv durch die Nase. Das erhebende Gefühl war, letzte Woche, als wir dann rausgefahren sind, ’n Stück aus Berlin raus, wo das immer länger wurde und dann hab ich eigentlich zum ersten Mal wieder so’n Gefühl für Weite gehabt. Der Horizont war unheimlich weit, die Felder waren ja abgeerntet. Klares Wasser wiedermal, was man ja auch schon vorm Knast nicht mehr kannte, hier in Berlin-West.

Aber laßt uns doch von vorne anfangen. Wie war es für dich am Anfang, als du in den Knast kamst?

Also am Anfang, als wir eingefahren sind, waren wir erstmal total isoliert. Während dieser Zeit liefen auch die Vernehmungsversuche. Als sie gemerkt haben, daß sie damit keinen Erfolg bei uns haben, wurde auch die Totalisolation aufgehoben. Das heißt also, wir hatten dann ’ne halbe Stunde Hofgang mit den anderen Gefangenen. Ansonsten warste auch 23 ½ Stunden von allen anderen isoliert. Aber das waren ja damals die normalen U-Haftbedingungen.

Heute auch noch, oder?

Mehr oder weniger. Heute ist eine Stunde Hofgang und die Gefangenen haben auch schon mal Umschluß. Das ist alles noch minimal. Zwei Stunden Umschluß am Wochenende ist immer noch zu wenig. Dieser »Normalvollzug« lief bis Sommer ’76. Dann kam Entebbe. Da wurden wir erstmal eine Woche total isoliert. Wir hatten die erste Kontaktsperre. Sie haben auch keine Anwälte reingelassen. Zu der Zeit gab’s noch gar kein Kontaktsperregesetz. Am 7.7.76, die Kontaktsperre war gerade aufgehoben, sind die Frauen aus der Lehrter abgehauen. Daraufhin wurden wir für dreieinhalb Monate total isoliert. Und zwar auf Anordnung des damals ach so liberalen Justizsenators Baumann, der ja so viele »reformerische« Aktivitäten gezeigt hat und der eigentlich am meisten dazu beigetragen hat, die Haft-Bedingungen in Berlin zu verschärfen.

Was war das für’n Vogel?

Der war durch und durch verlogen. Der ist sogar in’n Knast gekommen, zu uns in die Zelle und hat uns gefragt, was wir denn nun wollen. Und da haben wir gesagt, wir wollen normale Haftbedingungen. Wir wollen behandelt werden wie jeder andere. Keine Sonderhaftbedingungen. Und am nächsten Tag lesen wir in der Zeitung, daß er auf einer Pressekonferenz bekanntgegeben hat, er werde sich »dem anmaßenden Wunsch dieser elitären Leute, unter sich bleiben zu wollen, nicht beugen«.
     Als er zu mir in die Zelle kam, bin ich erst gar nicht auf die Idee gekommen, daß der das sein könnte. Er ist ringehüppt in die Zelle, ich denke, den kennste doch irgendwoher – ich hab mir gerade die Hände gewaschen – und kiek, an der Tür lauter Zivilisten, Staatsschutz oder so? Sagt er: »Ich bin ihr Herr Justiz …«, da wußte ich, det is der Baumann, hab ausgeholt und wollt ihm eine geben. Da is er gleich rückwärts wieder rausgesprungen. Ich hab‘ ihn leider nicht getroffen. Da konnte ich bloß noch den Wasserstrahl in seine Richtung halten. Ist er noch’n bißchen naß geworden.

Haben die Bullen bei den Verhören auch versucht, politisch zu argumentieren?

Es wird versucht, Gesprächsbereitschaft zu erzeugen. Das heißt, alles, was sie über dich wissen, deine persönlichen Umstände oder natürlich auch deine politischen Überzeugungen versuchen sie zu thematisieren, um mit dir ins Gespräch zu kommen. Es ist ganz witzig, wenn du dasitzt und kein Wort sagst und dann sitzte da vier Stunden und die haben schon Fusseln am Mund und versuchen immer noch, dich zum Gespräch zu bewegen, und wenn du dann fragst, ob du ’nen Kaffee kriegst und sie alle ganz glücklich werden, weil du überhaupt was gesagt hast. Aber nach ein paarmal ist das dann auch vorbei. Da hören sie dann irgendwann auf. Aber bis dahin haben einige schon über ihr ganzes Privatleben und ihre Seelenpein geredet, die sie mit ihrer Frau oder ihren Kindern haben, die in der Schule nichts werden, oder so …
     Das dient natürlich genau dazu, irgendwann einfach Gesprächsbereitschaft zu wecken. Bei mir war das ja so, daß ich einige noch von 1970 kannte, als ich schonmal festgenommen wurde. Damals habe ich zwar auch keine Aussagen gemacht, aber weil wir ja mit den Sachen, für die sie uns damals verhaftet haben, nichts zu tun hatten, haben wir uns mit den Bullen unterhalten. So’n bißchen naiv, so nach dem Motto: Wir haben ja nichts zu verbergen. Und so haben sie dann auch die alten Bullen wieder rangeholt, weil sie dachten, na, die haben sich ja damals unterhalten, die werden jetzt auch wieder eine Ebene finden..
     Sie versuchen dabei schon, auf jeden einzelnen einzugehen. Wobei sie dann erstmal versuchen herauszubekommen, auf was du reagierst. Das wirkt dann auch manchmal absurd und klischeehaft. Zum Beispiel, wenn sie die Härtetour versuchen. Meine erste Vernehmung überhaupt bei den Bullen war so, daß da sechs Mann im Raum gesessen haben. Der eine hat sich total angepaßt. Der kam mir vor wie’n Idiot. Der hat jede meiner Bewegungen nachgemacht, fast, daß ich dachte, der hat ne Macke. Der andere machte dann auf ganz hart, so mit Sprüchen, man müßte mal richtig zuhauen oder wir dürfen ja leider nicht wie in Chile und so. Der nächste hat dann versucht, über Marxismus zu diskutieren und aus Büchern zu zitieren, die ich selbst nicht kannte. Ihre Schwierigkeit ist halt: in dem Augenblick, wo du auf nichts eingehst, wirkt auch keine Taktik mehr.
     Mich haben sie sechs Tage hintereinander geholt. Immer so sechs Stunden. Und nach vier Tagen, an denen ich kein Wort gesagt habe, auch nicht, ob ich essen oder trinken will, haben sie was neues versucht. Das Mittagessen gab’s ja dann immer beim Staatsschutz, damit sie mich nicht in den Knast zurückbringen mußten. Ich habe an diesem Tag schon vorher gehört, wie sie vor der Tür den Essenskübel geschüttelt haben. Dann kommt der mit dem Topf rein und sagt: »Nee, das kann man ja keinem anbieten, das ist ja menschenunwürdig«. Und er guckt in den Topf rein und sagt: »Pfui Deibel. Sollen wir ihnen was aus der Kantine holen?« Ich sag: »Ja«. Und das war das einzige, was ich an dem Tag gesagt habe. Am nächsten Tag kam ich wieder hin, und er fängt wieder an und erzählt und erzählt und erzählt und plötzlich kiekt er mich an und sagt: Verstehe ich überhaupt nicht. Gestern haben wir uns so gut unterhalten, und heute sagst Du wieder gar nichts. Das war der absolute Höhepunkt. Das eine Wort war für ihn ein Gespräch.
     Manchmal hörste dann auch raus, was mit den anderen Leuten ist, wenn dann ein Bulle losplatzt: »Die verblöden hier alle, der eine gibt an, er würde nur auf uns schießen« (das war bestimmt der Meier), »der nächste lutscht nur am Daumen«, (na klar, der Teufel), »und der dritte säuft nur Kaffee« (das konnte nur Ronny gewesen sein). Man muß dazusagen, daß die’s hier in Berlin nicht auf die brutale Tour versucht haben. Hier sind aber auch nicht – wie in Westdeutschland – Bullen umgeschossen worden. Dazu kam auch die Popularität der Lorenz-Entführung. Der hatte uns ja auch unmittelbar danach auf einer Pressekonferenz gelobt, wie gut er behandelt worden ist. Und die Bullen wollten dann natürlich nicht’n Kontrapunkt setzen. Und von daher haben die uns eigentlich korrekt behandelt – bis auf’s Folterwochenende ’77. Aber das war in der Verantwortung der Bundesanwaltschaft.

Wann war das und worum ging es da?

Gegenüberstellung. Das war schon die dritte. Also ’77, da waren wir im Mai schon zum Teil mehr als zwei Jahre in Untersuchungshaft. Da haben die nochmal Gegenüberstellungen mit Zeugen aus dem ganzen Verfahren organisiert. Sie haben einfach die Aussagen genommen, also die Zeugenbeschreibungen, und dann haben sie uns die Haare und Bärte geschnitten und uns so zurechtgestutzt, daß wir genau auf die Beschreibungen paßten. Das hatte zwar nichts damit zu tun, wie wir tatsächlich mal ausgesehen haben, aber die Wahrscheinlichkeit der Wiedererkennung war so halt höher.

Waren da noch andere bei?

Ja. Da waren wir sechs aus dem Verfahren und dann waren noch Knofo und Manne Adomeit, die sie einflogen, und Eb Dreher dabei. Etwa 200 Zeugen wurden hinter einem venezianischen Spiegel an uns vorbeigeführt.

Wie lief das ab?

Erstmal gab’s schon Auseinandersetzungen wegen Zwangsrasieren und Zwangshaarschnitt. Da gab’s schon die ersten blauen Flecke, weil wir uns natürlich nicht frisieren lassen wollten und dann sollten wir ein freundliches Gesicht machen und Ronny hat dann zum Beispiel den Mund aufgemacht, die Augen zu und die Zunge raus. Da wurden dann die Knebelketten richtig schön angezogen. Ihm einen Kugelschreiber in die Zunge gehauen. Bei mir wurden die Knebelketten angezogen, bis das Blut an den Nietnägeln rausgeplatzt ist. Dem Ronny haben sie dann zwischendurch noch kurz den Daumen ausgerenkt. Wir sind dann wochenlang mit Verbänden rumgelaufen. Da hat sich sogar zum ersten Mal der Knastarzt, der nicht gerade sehr feinfühlig war, aufgeregt, daß sie uns da so behandelt haben.

Habt ihr ’ne Anzeige erstattet?

Ja. Aber die Ermittlungen gegen die Bullen sind eingestellt worden. Amnesty International hat sich zwar beschwert, aber das zuständige Gericht hat dann entschieden, daß es keine Folter war, weil es einen richterlichen Beschluß für die Gegenüberstellung gab.

Wie war für euch die Situation im Herbst ’77, also: Schleyer-Entführung, Mogadischu, Stuttgart-Stammheim?

Wir waren während der Zeit total isoliert, lebten von der Solidarität der anderen Gefangenen. Sie hielten an Besenstielen ihre Radios aus den Fenstern, damit wir Nachrichten hören konnten. Die Meldungen über die Flugzeugentführung haben uns stark schockiert, besonders die Erschießung des Flugkapitäns. Wir hatten es nicht für möglich gehalten, daß Leute mit revolutionärem Anspruch auf Unbeteiligte losgehen. Zumal es vorher schon heftige interne Auseinandersetzungen wegen Entebbe gegeben hatte.

Aber ihr hattet auch, unabhängig davon, die Jahre vorher schon zahlreiche Konfrontationen im Knast, mit den Schliessern und wegen der ganzen Situation?

Es gab die ersten Jahre eine Reihe von Auseinandersetzungen, die aber nicht von uns so geplant, sondern eher Ergebnis einer logischen Entwicklung waren. Für die Knastleitung waren wir ein Widerstandsherd. Von daher wollten sie uns immer isolieren und auseinanderreißen. Sie hinterging für uns positive richterliche Beschlüsse und übte Druck auf die kleinen Bullen aus, unsinnige Anstaltsmaßnahmen durchzusetzen. Zum Beispiel durften wir keinen Zucker auf der Zelle haben oder sie nahmen uns die Radios weg. So bauten sich die Spannungen bis zur Explosion auf. Das war ’77. Da hatten wir mit ’nem selbstgebastelten Fußball gespielt, auf’m Hof. Und die Bullen wollten uns das verbieten.
     An dem Tag waren sie gut vorbereitet. Da hatten sie praktisch schon alles unter Verschluß und standen Spalier. Die wollten die Auseinandersetzung.

Warum?

Die Knastleitung wollte uns wieder total isolieren. Das ist ja danach auch erstmal passiert. Es war nur ein Vorwand. Sie hätten auch jeden anderen nehmen können.

Und wie ging das aus?

Nun, die Schließer stürmten den Hof. Dann sind die halt über uns hergefallen. Jeder hat irgendwo gezogen und gezerrt und wir haben halt versucht zurückzuschlagen. Aber zu der Zeit hatten wir ’ne sehr schlechte Kondition. Unser Widerstand war nicht sehr effektiv. Die haben uns ziemlich schnell abgeräumt.

War das eine einmalige Aktion?

Nee. ’79 gab es noch eine weitere Hofschlacht. Neben einigen anderen Auseinandersetzungen. Das war aber insofern ein bißchen anders, da unser Prozeß schon lief. Wir hatten zu der Zeit wegen der Länge der U-Haft zwei Freistunden zugesagt bekommen. Vormittags eine und nachmittags eine. Und an den Prozeßtagen hat die Anstalt einfach gesagt, nach 16 Uhr ist nur eine Freistunde möglich, weil dann die Außenbewachung durch die Bullen nicht mehr da ist. Das war natürlich absurd. Wenn wir dann Prozeß hatten, bekamen wir manchmal nur ’ne halbe Stunde. Und da haben wir uns beim Gericht beschwert und der Vorsitzende Richter meinte dann: »Ja, ich hab angeordnet, daß die beiden Freistunden abgehalten werden, aber ich hab ja keine Polizeitruppe, die ich reinschicken kann, um meine Anordnungen durchzusetzen«.
     Dann haben wir gesagt, na, dann setzen wir sie durch. Und dann sind wir draußen geblieben, den nächsten Tag. Da mußten sie uns dann reinholen. Da hatten sie sich aber eine Stunde Zeit genommen und sich gründlicher vorbereitet. Für jeden von uns hatten sie 6 Bullen eingeteilt, die uns abgreifen sollten. Insgesamt warens noch wesentlich mehr. Die hatten aber ihre Marschordnung irgendwie durcheinander gebracht. Die waren halt auch nicht die Mutigsten. Die wußten, Fritze ist körperlich der Schwächste, der kann sich mit seiner Brille nicht so doll wehren, und dann hat sich eben die ganze Spitze, die für Klöpper und uns eingeteilt war, auf den Fritz Teufel gestürzt. Und hatten damit aber auch die Übersicht verloren. Dadurch hatten sie zum ersten Mal auch schmerzhafte Verluste gehabt. Einen Nasenbeinbruch, einen Halswirbel angebrochen, einen Zahn verloren. Wir sahen aber auch reichlich bunt aus.

Hatten die Knüppel gehabt?

Nee, aber einige von denen haben halt immer ’n Schlüssel zu Hilfe genommen. Bei uns waren sie allerdings ein bißchen vorsichtiger, weil wir eine Öffentlichkeit hatten. Bei anderen Gefangenen haben sie keine Rücksicht genommen. Da haben sie auch schon mal Leute ans Geländer geschlagen, bis sie Brüche hatten.
     Der Bulle, der sich das Nasenbein gebrochen hat, der hat mal ’nem Gefangenen, der aus Tegel strafverlegt wurde, den Schlüsselbund ins Gesicht gehauen, während andere den festhielten. Als der dann am Boden lag, hat er noch reingetreten. Und der zweite, der den angebrochenen Halswirbel hatte, der schlug ’ne Weile vorher ’nen russischen Gefangenen mit dem Gesicht ans Geländer. Der hatte damals alles kaputt. Jochbein, Kieferbruch, Nasenbeinbruch. Es hat schon die beiden richtigen erwischt, auf’m Hof. Das war das erste Mal, daß wir so’n kleinen Ausgleich hatten, ’ne kleine Freude. Wir hatten eigentlich ein Jahr lang auf diesen Tag trainiert.
     Später, als wir dann in den Trakt kamen, hatten wir die ersten drei Monate fast jede Woche irgend eine Prügelei. Da ging’s hauptsächlich darum, daß die Anstaltsleitung die Trennscheibe bei Privatsprechstunden wieder durchsetzen wollte. Als wir in den Trakt kamen, hat das Gericht die Trennscheibe bei Privatbesuchen abgeschafft, weil der Trakt ja sicher genug sei und außerdem zwei Anstaltsbullen und zwei Staatsschützer dabeisitzen und da gar nix passieren kann.
     Und da haben die Bullen dann immer Meldungen geschrieben, über Vorfälle, die es gar nicht gab, oder haben Auseinandersetzungen provoziert. Daraufhin ging die Trennscheibe wieder hoch, und da sind wir natürlich sauer geworden und haben die beschimpft. Und dann ist die Sprechstunde abgebrochen worden. Die Sprechstunde war immer so’n neuralgischer Punkt, weil’s dann beim Abbruch automatisch zu ’ner Prügelei gekommen ist. Das war vorher schon so, bevor wir in den Trakt gekommen sind. Das war so ein Punkt, wo wir gesagt haben, die Sprechstunden, da gibt es überhaupt keinen Kompromiß. In allen anderen Sachen kann man mal einen Rückzieher machen. Man kann sich ja nicht jahrelang prügeln. Aber die Sprechstunde war so der äußerste Punkt. Da gab es keinen Kompromiß. Der Kontakt mußte sein, die Berührung mußte sein und das freie Gespräch mußte auch so einigermaßen sein, soweit das geht. Da war man sehr aggressiv, manchmal.
     Es lief so: wenn wir Sprechstunde hatten, dann hat uns ein Bulle aus der Zelle abgeholt, und auf dem Weg zum Sprechraum hat er dann schon angefangen, seinen Salm runterzulassen: »Sie wissen ja, keine Berührung und kein Kontakt«. Oder: »Nicht, ich bin ja großzügig, und da dürfen sie schon mal ’nen Handschlag austauschen« und so weiter. Meistens haben wir mit denen nicht gesprochen. Dann haben sie immer noch nachgefragt: »Sie wissen doch, Sie haben doch verstanden, kein Körperkontakt«. Da kriegst du dann schon Agressionen. Da ging dann je nach Bulle die Spannung hoch. Die meisten haben aber nichts gemacht. Haben nicht eingegriffen, wenn wir unseren Besuch umarmt haben.

Kommt nicht irgendwann so eine Zeit, wo man denkt, füg dich …

Wenn du dich so ’nem Gedanken hingibst, dann hast du schon verloren. Es gibt Phasen, wo alles überdacht wird, dir alles durch den Kopf geht, aber »sich fügen« heißt, daß du über kurz oder lang deine Identität verlierst.
     Das vergessen draußen viele, daß das, was sich im Knast abspielt, wie das Leben draußen ist, nur unheimlich konzentriert. Vieles ist halt so aufeinandergeschweißt, daß man sich das nicht vorstellen kann. Es ist alles extremer. Du überlegst natürlich schon, wo es sinnvoll ist, was zu machen und wann es einfach nix bringt. Das ist immer eine Gratwanderung. Also, stellste dich ganz stur. Jeden Tag ’ne Prügelei hältste aber auch nicht durch. Dann biste irgendwann kaputt. Auf der anderen Seite: Paßt du dich an, dann ist das ein Stück Selbstaufgabe. Du mußt eigentlich viel genauer als hier draußen in jeder Situation überlegen, was du machst. Hier draußen fällt’s viel leichter, Konflikten aus dem Weg zu gehen.

Gab es nicht Überlegungen, sich scheinbar zu fügen, um in den Normalvollzug zu kommen?

Da reden sich Gefangene raus, wenn sie das machen. Ich denke nicht, daß das geht. Es gibt kein Scheinleben, auch nicht zeitweilig. In dem Augenblick, wo du auf was eingehst, bist du auch inhaltlich drauf eingegangen. Jede Lebensäußerung wird kontrolliert. Jeder einzelne Bulle schreibt ’nen Bericht über dich. Das sind Sachen, die Gefangene oft nicht beachten. Dann grüßt du einen Beamten irgendwann mal, dann steht da gleich im Bericht: Der ist jetzt viel freundlicher, der ist jetzt ansprechbar. Die Konfrontation ist einfach zu direkt dafür, um zu sagen: Jetzt täusche ich die. Ich kenne jedenfalls keinen Gefangenen, der ein Scheinangebot gemacht hat und es auch wirklich durchziehen konnte. Du hast ja nur begrenzte Möglichkeiten. Also für mich wäre das unmöglich gewesen.
     Es gibt noch was anderes. Es gibt diesen Prozeß, der immer wieder zwischendurch läuft, wo du überlegst: Kommen die an dich ran? Läuft nicht auch so ein ganz schleichender Anpassungsprozeß? Wie kann ich auf diesem engen Raum ein gewisses Maß an Selbstbestimmung verteidigen? Ich will nicht in den drei Minuten, in denen die mir die Tür aufmachen, rausgehen. Weil, du wirst sonst, wenn das 100, 200, 300 Tage hintereinander läuft, zu einem Rädchen, das nur noch funktioniert. Und sich dieser Anpassung in einem selbst bewußt zu werden, ist die Voraussetzung, damit du nicht in dem Apparat aufgehst.

Nur der Widerstand hält dich als Person am Leben?

Ja. Das stimmt absolut. Jedenfalls über so lange Jahre. Du kannst natürlich sagen: Wenn ich zwei Jahre Knast habe, halte die Füße still, mach da keinen Ärger und so. Aber ich weiß nicht, ob da jemand gesund bei rausgeht, ob man die Jahre einfach so schlucken kann.

Spielten solche Überlegungen auch eine Rolle, als ihr gegen die Diskussion über eine Amnestie für die Gefangenen aus der militanten Linken in den 80er Jahren geschrieben habt: »Keine Amnestie für die Klassen-Justiz?«

Nee. Das war eine rein politische Auseinandersetzung, in der unsere persönliche Situation eine untergeordnete Rolle spielte.

Einerseits willst du selbst überleben, so daß du hinterher noch lebensfähig bist, und andererseits hat es auch ’ne politische Bedeutung für die draußen und für dich selbst, wie du dich im Knast verhältst.

Du gehst ja nicht in den Knast und überlegst dir, was machste jetzt die nächsten 15 Jahre. Sondern du hast dir doch vorher überlegt, was du machst, was du auch politisch machst und was du da für ’ne Antwort gegensetzt und welche möglichen Konsequenzen das hat. Und dann sitzt du im Knast und dann mußt du erstmal gucken, wie geht es jetzt weiter, wie kannste das, was du da angefangen hast, dadrin unter anderen Bedingungen weitermachen. Du versuchst, so viele Informationen wie möglich zu sammeln. Was sich irgendwann auch erschöpft, weil – das ist vielleicht auch etwas, was uns von Intellektuellen unterscheidet: Ich habe erhebliche Schwierigkeiten, mich über einen längeren Zeitraum auf ’ner ganz abstrakten Ebene auseinanderzusetzen, wenn ich das nicht irgendwo auch umsetzen kann. Und das ist im Knast eben nur sehr beschränkt möglich. Und war nur da möglich, wo es unmittelbar mit dem Knast zu tun hatte.

Wart ihr für die Beamten Gefangene wie andere auch?

Nee, das waren wir von Anfang an nicht. Schon wegen der ganzen Sicherheitsverfügungen, die wir hatten. Die waren gezwungen, bei uns mehr zu beachten, und insofern hatten wir dann schon eine Sonderstellung.
Viele Schließer haben uns auch gehaßt. Einige sind ja auch Rechtsradikale. Während andere Schließer auch wieder sowas wie Achtung vor uns hatten. Weil – das sagen sie auch heute noch – wir ja keine Leute sind, die ’ner alten Oma die Handtasche wegnehmen. Und deswegen auch einfach andere Gefangene.
     Dazu kam: wenn andere Gefangene Auseinandersetzungen hatten, dann waren die in der Regel alleine. Es haben in der Zeit (1976 1980) 22, 23 von uns in Moabit gesessen. Und da wußten sie nie, wenn sie einem eins auf’s Maul hauen, wo sie die Antwort herkriegen. Von daher waren sie auch vorsichtiger. Sie sind eigentlich das erste Mal auf kollektiven Widerstand gestoßen. Das war auch eine neue Erfahrung für sie. Die anderen Gefangenen können sie leichter spalten und einzeln kaputtmachen. Es gibt ja einige Gefangene, die sich auch gewalttätig wehren. Sich nichts gefallen lassen. Bloß, da stürzen dann 50 Mann rüber, hauen ihn zusammen und isolieren ihn. Und die Knackis kriegen dann in der Regel auch Knast nach. Da werden die doch weich mit der Zeit. Über Jahre halten das die wenigsten durch.

Wie war Euer Verhältnis zu den anderen, den sogenannten »sozialen Gefangenen« im Knast?

Gerade in den ersten Jahren und besonders in den Zeiten der schärfsten Isolation haben wir von den anderen Gefangenen sehr viel Solidarität erfahren. Wir haben auch gemeinsame Aktionen wie den Hungerstreik 1979 für Verbesserungen im Normalvollzug organisiert.
     Ein Bulle hat mal zu mir gesagt: Es ist gar nicht so wichtig, ob ihr was macht. Die anderen Gefangenen kriegen einfach Mut, wenn politisch bewußte Leute drin sind, die wissen, wo’s langgeht und die auch’n Plan haben und mal was gemacht haben. Die stecken alle anderen an, mit ihrer Widerstandskraft. Da fangen plötzlich Gefangene, die sonst immer ruhig waren, an zu maulen. Fangen an, Beschwerden zu schreiben, werden frech zu den Bullen und so. Und so verlieren sie ein Stück Kontrolle über die Gefangenen.

Seid ihr von den Schließern schikaniert worden?

Ja, einige haben beim Filzen Marmelade ausgekippt, in die Klamotten, oder sie haben das Seifenpulver rumgestreut oder Bilder abgerissen, irgendwelche Sachen durcheinandergeschmissen. Aber das waren einzelne.
     Eine andere Form von Schikane war die durch Verfügungen. Besonders als der Prozeß anfing. Morgens Prozeß, nachmittags Prozeß und die Freistunde. Und dann geht’s los. Morgens, bevor du zum Prozeß kommst, nackend ausziehen. Wenn du vom Prozeß zurückkommst, nackend ausziehen. Wenn du zum Prozeß hingehst, nackend ausziehen. Wenn du vom Prozeß zurückkommst, nackend ausziehen. Dann gehste zur Freistunde und dann, wenn du von der Freistunde reinkommst, wirste nochmal nackend ausgezogen. Und dann haben wir irgendwann gesagt: Jetzt ist Schluß, das machen wir nicht mehr. Da hatte sich viel Zündstoff angesammelt. Dann ist jeden Tag die Zelle auseinandergenommen worden. Ich bin manchmal zurückgekommen, dann hat’s ausgesehen, als wenn ’ne Bombe eingeschlagen hätte. Alles lag nur noch auf einem Haufen. Und dann platzt das dann halt. Das ist schon massiv. Und dieser Dauerstreß trifft schon deine Balance. Da, wo du versuchst, Bedingungen für dich hinzukriegen, da immer wieder zuzuschlagen. Die maßlose Wut, die du dann hast, und die du nirgendwo hintun kannst. Und dazu kommt ja, wenn du an irgendwas arbeitest, egal was, dann brauchst du ja ein Mindestmaß an Konzentration.
     Du konntest morgens um Sieben Freistunde haben und abends um Sechs oder jede Zeit dazwischen. Aus Sicherheitsgründen war das immer anders und du hast es nicht vorher erfahren. Das heißt, du wußtest nie, wann kommen sie, wann wirste rausgerissen. Am Anfang war es noch so, daß die Zellendurchsuchungen während der Freistunde gemacht wurden. Irgendwann haben sie angefangen, uns extra nochmal ’ne Stunde später rauszuholen. Wir sind dann in ’ne Leerzelle gesperrt worden, dann wurde eine Stunde lang die Zelle durchsucht. Danach bist du zurückgekommen, hast nochmal eine Stunde lang aufgeräumt, um überhaupt erstmal ’n Überblick zu kriegen. Du bist den ganzen Tag beschäftigt, für nothing. Es passiert effektiv gar nix, du bist total isoliert, aber du bist den ganzen Tag beschäftigt mit dem Knast.
     Im Trakt kam dann eine Phase von intensiver Auseinandersetzung mit den Bullen. Und da wollten sie uns – wir waren sieben Mann in einem Bereich – in kleinere Gruppen legen, nachdem es einige Prügeleien gegeben hat. Die Anstaltsleitung hat beim Gericht beantragt, uns zu zweit oder zu dritt in verschiedene Bereiche zu legen. Das ist dann während der Hauptverhandlung, wir hatten ja zu der Zeit unseren Prozeß, öffentlich erörtert worden. Da ist uns ein Vorfall zu Hilfe gekommen: Die Bullen haben sich zwei Tage vorher untereinander geprügelt. Da konnten wir sagen: ja, wenn sich unter diesen Bedingungen die Bullen untereinander prügeln, also die, die freiwillig da sind, jeden Tag raus können und die dann schon nicht mehr wissen, wohin mit ihren Aggressionen, was wollt ihr dann von uns?
     Von dem Tag an war das Thema vom Tisch und die Bullen haben uns im Trakt total in Ruhe gelassen. Die sind das erste halbe Jahr immer im Dutzend, mit Helm und Knüppel bewaffnet reingekommen, haben uns Essen reingestellt, die Tür wieder zugemacht und wir konnten dann im Trakt machen, was wir wollten. Von da an gab es keine Auseinandersetzungen mehr.

Wann war das?

Genau ab dem 13. April 1980. Da hat ein Bulle auf die Nase gekriegt, den entscheidenden Schlag auf’s Auge. Na, Auslöser war, wieder mal, ’ne abgebrochene Sprechstunde. Das war der Auslöser für den Antrag, uns auseinanderzulegen.
     Nachdem wir aus dem Trakt raus waren, gab’s keine körperlichen Auseinandersetzungen mehr. Von den Schließern gab’s dann überhaupt keinen Versuch von einer Konfrontation mehr. Ganz im Gegenteil. Wenn von oben Verfügungen kamen und sie gemerkt haben, daß das bei uns auf Widerstand stößt, dann haben die das so formal gemacht, daß sie damit die Verfügungen unterlaufen haben.

Haben die sich mit euch normal unterhalten?

Ja, einige. Es gibt sehr große Unterschiede. Es gab da Bullen, die waren die absoluten Schweine und es gibt genauso welche, mit denen hatten wir von Anfang an keine Schwierigkeiten. Also, sie waren zwar Schließer, standen auf der anderen Seite, aber die haben sich keine Mühe gegeben, dich besonders zu schikanieren, sondern sind korrekt gewesen und haben immer versucht, sich, ich würde beinahe sagen: menschlich zu verhalten. Die einfach geglaubt haben, daß ihr Job notwendig ist. Die sind nicht alle gleich.
     Es gab auch welche, die gefilzt haben, da sah die Zelle nachher ordentlicher aus als vorher. Das waren oft ganz konservative Bullen, die zwar scharf, aber auch korrekt waren. Da war dann mein Schrank so aufgeräumt, wie ich ihn vorher nie kannte.

Kriegt man im Knast ein »Wohngefühl«?

Bestimmt nicht. Es gibt bei den Knackis Erfahrungen, wenn die lange drin sind. Die haben halt so’n Wohnungsgefühl. Da siehste dann, der Boden ist poliert und Deckchen und Gardinen vorm Fenster und so. Dann ist aber halt der Kopf auch schon kaputt. Ich hab mich in der Zelle nie heimisch gefühlt.
     Das ist aber auch eine andere Rangehensweise. Das hängt ja schon damit zusammen, wenn du in den Knast kommst und du weißt, wofür du drinsitzt, ist das was anderes, als wenn du meinetwegen nur illegal deinen Lebensstandard aufbessern wolltest. Also zum Beispiel ’nen Raub machst und dafür in den Knast kommst und mit einem Mal das gar nicht vertreten kannst, ganz im Gegenteil noch Schuldgefühle hast. Die meisten haben die anfangs ja noch. Na, beim dritten Mal dann auch nicht mehr, aber dann ist es sowieso schon zu spät. Und woran sollen die sich festhalten. Und da gibt es dann schon mal ’ne Überanpassung.
     Jeder braucht seinen Freiraum und irgendwie merkst du es ja daran, wie du dich aufregst. Wenn das an der Haut aufhören würde, würdest du dich ja nicht aufregen. Wenn du von der Freistunde wiederkommst, und die Zelle sieht aus wie’n Schlachtfeld. Dann würdest du dich nicht drüber aufregen. Dann wär dir das egal, hat ja nichts mit dir zu tun. Aber es hat eben was mit dir zu tun. Es sind ja deine Lebens- und Arbeitsbedingungen. Natürlich ist es dann auch so’n ständiger Kampf um deinen Freiraum.

Hast du mal Angst gehabt?

Ja, vor Auseinandersetzungen hab ich Schiß gehabt. Was heißt Angst? Das ist so’n Gefühl – ja, schon Angst. Aber die war nicht bestimmend. Also nicht so, daß du gesagt hättest, jetzt verzichte ich drauf oder so. Viel öfter hab ich mich geärgert, wenn ich manchmal nichts gemacht habe. Da habe ich dann nachher so ’ne Wut gehabt über ’ne verpaßte Gelegenheit.
     Wir hatten auch die Auseinandersetzungen, wie wir mit den Bullen umgehen sollten. Das war eigentlich genau das Ding, daß wir immer gesagt haben: Der kleine Bulle an sich interessiert uns nicht. Den behandeln wir nach dem Motto Wie er in den Wald reinruft, so schallt’s heraus. Das haben die dann auch irgendwann begriffen. Sie haben gemerkt, daß wenn sie sich anständig und vernünftig verhalten, dann passiert nischt. Dadurch war dann hinterher die letzten Jahre auch das Verhältnis bestimmt. Ich denke, daß das schon was damit zu tun hatte, daß wir nicht einfach wahllos irgendeinem Bullen auf die Schnauze gehauen haben, nur weil wir frustig waren. Wir haben schon geguckt, wer das jeweils ist.

Habt ihr durch die Öffentlichkeit Schutz gehabt?

Ein bißchen schon, denke ich. Selbst wenn es rein rechtlich kein Schutz war. Aber wir haben ja durch die Medien immer noch ein bißchen Beachtung gehabt. Gerade während des Prozesses. Wenn einer da blaugeschlagen im Gerichtssaal gesessen hat, dann sah das halt auch nicht so gut aus. Da ist dann ein sehr seltsamer Eindruck entstanden. Du kannst von einer Konfrontation berichten. Aber ’nen Blaugeschlagenen zu sehen, ist nochmal was anderes. Das hat dann doch ein bißchen Eindruck hinterlassen.
     Ich hab das Gefühl, wir reden die ganze Zeit über Prügeleien. Vielleicht hat das auch was damit zu tun, daß eine gewalttätige Situation auch eine gewalttätige Auseinandersetzung mit sich bringt. Und irgendwie bestimmt das dann auch das ganze Denken.

 


veröffentlicht in:

Die Bewegung 2.Juni
Gespräche über Haschrebellen,
Lorenzentführung und Knast

Ralf Reinders/Ronald Fritzsch

Edition ID-Archiv Berlin-Amsterdam
1.Auflage Oktober 1995

S. 135-154

www.idverlag.com

das buch im netz: www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/2_juni/